127.Exkurs: Mein Artikel im Vereinsmagazin

Heute möchte ich euch einmal nicht aus der Werkstatt berichten. Ich habe für unser Multihullvereinsmagazin einen Artikel über unsere Reise zu den Azoren geschrieben, den ich hier ebenfalls veröffentlichen möchte.

Begegnungen auf den Azoren

Überraschung: es folgt mal kein Bericht über den Fortschritt aus unserer Werkstatt. Ich möchte euch stattdessen von unserer Reise auf die Azoren erzählen, wo wir beeindruckende Begegnungen unter und über Wasser und eine sehr herzliche und absolut unerwartete Bekanntschaft mit einem Multihullvereinsmitglied machen durften.

 

Übrigens: Für alle, die sich wundern, was ein Bericht über einen Taucherurlaub in einer Seglervereinszeitschrift zu suchen hat, schlage ich folgenden Gedankenbogen vor: jeder, der es auf eigenen Kiel oder Schwert auf die Azoren schafft, und gesundheitlich noch fit genug ist, sollte dort den Kopf einmal unter Wasser halten, denn diese Inselgruppe ist unseres Erachtens eines der absolut sehenswertesten Tauchgebiete der Welt und muss sich vor der Karibik und der Südsee nicht verstecken.

 

Eigentlich geht unsere Geschichte mit den Malediven los. Einmal im Jahr geht es bei uns zur Erholung in den Tauchurlaub, üblicherweise nach Ägypten, aber davon haben wir nun nach sechs Besuchen auch mal die Nase voll und so setze ich mir bereits im Januar 2022 die Malediven als Traumziel für den kommenden Herbst in den Kopf. Eine Tauchsafari kombiniert mit ein paar Tagen auf einer Insel, kein extra Luxus, einfach nur Ruhe und Entspannung … ich fange das Recherchieren an, doch die Preise holen mich schnell wieder runter auf den Boden der Tatsachen. So viel bin ich einfach nicht bereit zu zahlen. Frustiert lege ich unsere Urlaubsplanung erstmal zur Seite.

 

Erst einige Tage später fällt Freddy und mir in einem Gespräch noch eine Reiseziel-Alternative ein, die wir auch immer superspannend fanden, die ich für mich aber immer als zu herausfordernd und zu gefährlich bewertet hatte: die Azoren. Wild im Nordatlantik gelegen, Strömungen und Wellen, Großfisch im Herbst … ganz anders als die Malediven, aber definitiv nach unserem Geschmack. Bin ich inzwischen erfahren genug für diese wilden Inseln?

 

Ich recherchiere nach Tauchbasen und finde eine kleine, ansprechende Basis auf Santa Maria, die Südöstlichste der Inseln. Ende Januar habe ich dann auch gerade noch Glück, dass der Tauchbasisleiter unsere Buchung aufnehmen kann, denn auf den Azoren ist die Tauchsaison kurz und man muss entsprechend langfristig planen.

 

Wir verlegen unsere Planung daher kurzerhand in den September, dann würde der große Urlaubstross schon vorbeigezogen sein und laut dem Basisleiter wären die Sonnentage und Chancen auf Großfisch genauso groß wie im August. Er bietet uns noch an, für uns den Mietwagen und ein Appartment zu vermitteln. Ich bin ja so ein kleiner Organisationskrake, lasse mich aber auf sein Angebot ein und das einfach mal alles auf mich zukommen.

 

Und so kommt es, dass wir plötzlich die Azoren auf dem Ticker haben. Blöd nur, dass wir ewig lang auf diesen Urlaub warten müssen … zwischen drin werden wir noch in den Vorstand des Multihullvereins gewählt, ich wühle mich durch die Historie des Vereins, es findet das IMM statt …. im August, nach dem IMM, laufen Freddy und ich auf dem Zahnfleisch und es wird höchste Zeit für unseren Jahresurlaub. Zwischenzeitlich wird unser Flug ab Düsseldorf auch noch gestrichen, wir werden neu auf Frankfurt gebucht, was nicht dramatisch ist.

 

Je näher der Abreisetag kommt, desto mehr checken wir die Wetterlage auf den Azoren. Windig ist es dort aktuell. Das ist schlecht für uns, denn Wind bedeutet Wellen. Auf den Azoren taucht man nicht von Land aus. Jeder Tauchspot wird mit dem Zodiak angefahren. Die Tauchspots sind teilweise auch recht weit entfernt, 1-2 Stunden Fahrt sind keine Seltenheit. Üblicherweise macht man zwischen zwei Tauchgängen eine Oberflächenpause auf den Zodiak. Bei Welle ist das super unangenehm, vor allem, wenn man wie wir noch überhaupt nicht daran gewöhnt ist. Wir haben entsprechend „Mittelchen“ im Gepäck und stellen uns drauf ein, dass es die ersten Tage wohl eher mau mit dem Tauchen wird und wir erst die Insel erkunden werden.

 

Am Abreisetag in Frankfurt ist es natürlich die längste Schlange in der Abflughalle. Bevor wir uns da anstellen, fragen wir mal lieber nach, ob die alle nach Ponta Delgada wollen, denken wir uns und fragen einfach mal ein paar Jungs, die gerade auf einer Höhe neben uns in der Schlange stehen. Sie bejahen, dass das die Schlange für die Azoren ist. Wir kommen kurz ins Gespräch, da unser „massiges“ Gepäck (wir schleppen ja jeder noch extra Tauchgepäck mit uns) ihre Aufmerksamkeit erregt. Wir erzählen, dass wir noch weiter nach Santa Maria zum Tauchen fliegen und sie sagen: oh, sie fliegen auch nach Santa Maria! Da müssen wir uns beim Wartestop in Ponta Delgada über das Tauchen unterhalten. Wir verabschieden uns und stellen uns brav ans Ende der Schlange an.

 

Tolle erste Überraschung des Tages: Azores Airlines hat uns wohl aufgrund des Rerouting in die Businessklasse gebucht. Wir verbringen viereinhalb herrlich gemütliche Stunden auf dem Flug, bevor wir auf der Hauptinsel Sao Miguel landen. Dort müssen wir drei Stunden warten, bevor es mit einem Inselhüpfer weitergehen soll nach Santa Maria. Die beiden Jungs treffen wir natürlich auch wieder und kommen ins Gespräch. Es stellt sich heraus, dass sie zum Segeln nach Santa Maria wollen. Sie wollen dort jemanden kennenlernen, der einen Katamaran besitzt, den er gerade für die Langfahrt vorbereitet und für die Langfahrt Crew sucht. Als wir das hören, werden wir natürlich kribbelig. Wie aufregend. Auch noch ein Katamaran. Wir tauschen per Whatsapp Kontakte aus und bitten drum, uns das Boot mal anschauen zu dürfen, sie sollen doch mal bitte beim Skipper für uns vorsprechen. Wir wären mobil und flexibel und die Tauchbasis wäre sowieso am Hafen, wir könnten jederzeit vorbeikommen. Die Wettervorhersage für die nächsten Tage ist auch stürmisch, daher würde es mit dem Tauchen wohl nicht so schnell losgehen. So gehen wir auseinander, als das Boarding nach Santa Maria losgeht.

 

Mit uns an Bord geht die Schüler-Fußballmannschaft von Santa Maria, die wohl auf Sao Miguel ein „Auswärtsspiel“ hatte und offenbar gewonnen hat, denn sie sind in bester Feierlaune und der ganze Flieger ist voll mit Schülern, Lehrern, Eltern, Trainern und alle sind am Feiern, es ist eine herrliche Stimmung an Bord.

 

Abends um 21:30 Uhr landen wir auf Santa Maria. Wir verlassen als letztes die Abfertigungshalle, hinter uns wird das Licht ausgeschaltet. Es regnet in Strömen, die Palmen biegen sich im stürmischen Wind, kein Mensch ist zu sehen. Wir fühlen uns wie in einer anderen Welt. Der Mietwagenverleiher ist so nett und fährt uns den Mietwagen vor, damit wir nicht durch den Regen marschieren müssen. Um 22:15 sind wir in unserem Appartment, das etwa 10 Minuten vom Hafen Vila do Porto entfernt ist. Etwa zeitgleich trifft die Whatsapp Nachricht ein, dass wir für den nächsten Tag herzlichst eingeladen sind, uns den Katamaran anzuschauen.

 

Gesagt, getan. Es stürmt weiterhin, an Tauchen ist für uns nicht zu denken, die Wellen sind viel zu hoch, um den ersten Tauchgang in unbekannten Gewässern zu wagen. Nach dem ersten Proviantieren zieht es uns direkt zum Hafen. Ein gelber großer Katamaran soll es sein, nicht zu übersehen. Tatsächlich finden wir das Boot auch direkt am Ende eines Bootsstegs, ein Riesenkatamaran mit dem Namen „Moby Dick“. Uns kommt das Boot irgendwie bekannt vor. Wir denken beide, dass wir es in den Anzeigen vom Mehrrumpfbooten schon mal gesehen haben. Am Boot angekommen klopfen wir an und fragen, ob jemand an Bord ist? Jörg, der Besitzer und Skipper, ist an Bord und freut sich, uns kennen zu lernen. Er muss so um die 60 sein, ist schlank, kommt entspannt und rockig rüber, trägt seine langen Haare in einem Pferdeschwanz. Er hat die Moby Dick erst vor ein paar Tagen gekauft, über den Multihullverein Deutschland. Ob wir den kennen würden? Wir müssen lachen, als wir erklären, dass wir seine Vorsitzenden sind. Jetzt erkennt er uns auch :-) Herrlich, wie man sich auf einer kleinen Insel mitten im Atlantik mit 3.500 Einwohnern so kennenlernen kann.

 

Freddy hat ja so die Angewohnheit, auf einem Boot in sämtliche Hohlräume zu gucken und so bieten sich einige Gelegenheiten für Schnappschüsse. Jörg möchte die Moby Dick für die Langfahrt vorbereiten und hat daher noch einige Punkte auf seiner Agenda. Wir erklären uns natürlich gern bereit, ihm zu helfen und so wird die Moby Dick, die er später übrigens in die „Friesenstein“ umtaufen wird, unsere tägliche Anlaufstelle nach dem Tauchen. Wir helfen gern, beim Kabel ziehen, Schleifen, lackieren, in den Mast hochwinschen …

 

Santa Maria stellt sich für uns als eine Trauminsel dar. Sie ist nicht so grün und blumig wie andere Azoreninseln, aber dafür unglaubig ruhig und entschleunigend. Unser Appartment ist etwa 10 Minuten vom Hafen und der Hafenstadt Vila do Porto entfernt. Egal wo wir hin wollen, unser Navi sagt immer etwa 10 bis 15 Minuten, dann treffen wir auf Wasser. Es gibt eine Hauptstrasse quer über die Insel. Es gibt drei Tankstellen, und die liegen direkt nebeneinander, und eine Ampel, und das ist eine Erzieherampel, die nur auf rot geht, wenn man schneller als 50 fährt (haben wir getestet).

 

Wir fahren innerhalb eines Tages durch sämtliche Klimazonen, von Regenwald durch Mars-anmutende lehmartige Wüstenlandschaften, wilde Olivenbaumhaine bis feine Sandstrände, an denen man herrlich im Atlantik baden kann.

 

In einer Minute regnet es in Strömen, in der nächsten Minute scheint die Sonne. Es ist wirklich so, wie es das Sprichwort sagt: dir gefällt das Wetter nicht? Dann warte eine halbe Stunde.

 

Innerhalb weniger Tage entschleunigen Freddy und ich komplett.

 

Der Hauptort ist Vila do Porto, und obwohl man hier und da etwas Verfall in den Gebäuden sieht, ist dieses Städtchen doch sehr belebt und lebendig. Wir brauchen etwas, bis wir kapieren, wie viele Bars und Restaurants hier versteckt in Kellern und Gewölben zu finden sind, die Eingänge sind teilweise kaum zu sehen, man geht durch einen schmalen Gang und nach hinten hin öffnen sich plötzlich große, teilweise überdachte Hintergärten, in denen dann lecker und vor allem preisgünstig gegessen werden kann … auch mischen sich in diesen Restaurants Einheimische, die anscheinend recht große Zuwanderer-Community und die Touristen, was wir sehr spannend finden.

 

Am dritten Tag hat sich der Sturm etwas gelegt. Die Wellen sind immer noch übel, unser Tauchbasisleiter ist etwas skeptisch, aber wir wollen es gern versuchen. Wir sind zu neugierig auf die Welt unter Wasser. Wir verabreden uns für 8 Uhr am Hafen von Vila do Porto. Die Treffzeit wird übrigens für jeden Morgen neu verabredet, abhängig von Wetter, Fahrzeit mit dem Zodiak, gebuchten Tauchslot. Letzteres ist besonders spannend: Die Gewässer um die Azoren sind Meeresschutzgebiet und das Tauchen muss angemeldet werden. In bestimmten Spots darf immer nur ein Boot zur gleichen Zeit an den Bojen festmachen, um ein Übertourismus zu vermeiden und die Tiere und Pflanzen zu schützen. Ein System, was auf den Azoren, die bisher vom Massentourismus verschon geblieben sind, sehr gut funktioniert.

 

Freddy und ich haben einen Brauch, wenn wir bei kritischen Wellentagen tauchen oder segeln gehen: wir frühstücken dann Ravioli. Die sind leicht bekömmlich, quasi schon vorverdaut und schlagen uns nicht auf den Magen. Auf den Azoren schwenken wir mangels Verfügbarkeit auf Nudeln mit Tomatensauce um. Wir frühstücken also morgens um 6 Uhr unsere Nudeln mit Tomatensauce und sind um 8 Uhr am Hafen von Vila do Porto.

 

Die zwei Tauchgänge des ersten Tages dienen uns zur Eingewöhnung. Sie sind bereits sehr eindrucksvoll, mit großen Schwärmen von Barrakudas und Sardinen. Die Sicht ist aufgrund der Wellen sehr durchschnittlich und die Strömung ordentlich. Aber ich bin erstmal beruhigt, dass ich alles gehändelt bekomme. Die Oberflächenpause wird meine Herausforderung, denn ich kämpfe gegen Übelkeit, ich habe bei meinen Atemreglerwechseln zu viel Salzwasser geschluckt (wir tauchen Sidemount, da wird regelmäßig gewechselt). Unser Bootsführer gibt Ingwertee und Kekse herum, und ich schmeiße eine weitere Tablette hinterher, das rettet mich. Freddy opfert sich und baut mein Rigg für den zweiten Tauchgang zusammen, es soll in eine Höhle gehen, in der wir Einhornshrimps sehen können sollen. Kaum unter Wasser geht es mir dann auch wieder besser. Die Höhle ist der Wahnsinn! Freddy kriecht mit seinem flachen Sidemountrigg in die letzte Ecke und filmt Hunderttausende von Einhornshrimps, während diese über ihn hinwegklettern. Währenddessen nutzen mehrere Muränen das Licht zum Jagen, sowas habe ich noch nie gesehen. Fasziniert hänge ich da und bin hin und her gerissen, weil ich es einerseits absolut spektakulär finde, anderseits machen wir es den Muränen mit unserem Licht aber auch besonders leicht, die Shrimps zu fangen. Mir fällt aber auch auf, dass sich die Muränen irgendwie gar nicht so geschickt verhalten, ich habe sie für bessere Jäger gehalten.

 

Nach Rückkehr zum Hafen kehren wir bei Jörg ein, trinken einen Kaffee, verabreden uns für den Abend in Vila do Porto.

 

In der Nacht werde ich krank, mit Halsschmerzen, Schluckbeschwerden und die Ohren sind auch zu. Na toll. Habe ich mir vermutlich auf dem Flug eingefangen, zumindest innerportugiesisch hat sich kein Mensch mehr für Masken interessiert. So kann ich nicht tauchen. Ich melde mich bei unserem Tauchleiter ab und Freddy fährt am nächsten Morgen allein zum Hafen. Ich verschlafe den Tag. Als Freddy Nachmittags wieder in der Tür steht, hat er seinen Hundeblick drauf. Dann weiß ich schon, dass er etwas gesehen und ein schlechtes Gewissen hat, weil ich es nicht gesehen habe. Und so ist es denn auch. Freddy hat gleich zwei fette Punkte auf unserer Bucket List abhaken können: bei seinem Ausflug nach Ambrosia hat er nicht nur einen beeindruckenden Schwarm Mobula-Rochen filmen können, sondern auf dem Rückweg auch noch einen Walhai gehabt, zu dem er dann auch noch kurzerhand ins Wasser gesprungen und mit ihm geschwommen ist. Wir schauen uns seine Videoaufnahmen an: gigantisch! Das Tier muss sieben Meter lang gewesen sein. Wer kann schon sagen, dass er mit einem Walhai geschwommen ist? Ich bin traurig, dass ich das verpasst habe, aber wir haben ja den Großteil des Urlaubs noch vor uns, ich habe noch viele Chancen. Und Ambrosia steht definitiv noch häufiger auf unserem Spotplan.

 

Der folgende Tag ist wieder windiger und das Tauchen ist abgesagt. Ich kränkele immer noch und so fahren wir wieder über die Insel und schauen uns den Norden und Westen etwas an. Ich lese etwas über einen Wasserfall, den „Cascata da Baía do Raposo“, aber wir finden nur einen kleinen vor sich hin plätschernden Bach vor. Wer hier Wasserfälle sucht, muss im Frühjahr wiederkommen. Wir cruisen über die Insel, immer an der Küste entlang, bis zum Leuchtturm „Ponta de Castelo“. Am frühen Nachmittag sind wir in Sao Lourenco und kehren im berühmten Fischrestaurant „Ponta Negra“ ein. Tolles Ambiente, wir sind weit außerhalb der Stoßzeit dort und fast allein und genießen die Aussicht auf die Bucht, die mich ein bisschen an Thailand erinnert, und den gegrillten Thunfisch.

 

Grundsätzlich sind wir über die Preise in den Restaurants und Supermärkten positiv überrascht. Mietwagen und Appartment sind recht teuer, Essen und Trinken recht günstig, so könnten wir es zusammenfassen. Man sollte Fisch und Frittiertes mögen und auf Fleisch möglichst verzichten, denn das wird grundsätzlich durchgebraten.

 

Ab dem vierten Tag bin ich tauchtechnisch wieder einsatzbereit, die stürmische Phase ist auch vorbei und wir können einige Tage lang ununterbrochen richtig schön tauchen.

 

Nordwestlich von Santa Maria gibt es einen Hotspot, an dem relativ zuverlässig Mobulas, der kleine Bruder der Mantas, beobachtet werden kann. Und zwar kommt dort ein erloschener Unterwasservulkan bis auf etwa 50m Tiefe hoch. Ich kann es leider nicht ganz wissenschaftlich erklären, aber diese Bergspitze sorgt für eine Strömung, die auch entsprechend Nahrung mit sich bringt, die wiederum für eine residente Gruppe Mobulas sorgt, die die ganze Zeit um diese „Bergspitze“ kreist und regelmäßig an die Oberfläche kommt. Man spricht vom „Mobula-Race“.

 

Taucher hängen während ihres Tauchgangs an einer Leine (es kann starke Strömung herrschen) und warten eigentlich nur darauf, dass die Mobulas vorbei kommen. Wenn gerade keine Strömung herrscht und Mobulas auftauchen, lässt man die Leine auch schon mal los und taucht zu den Mobulas hin, aber man darf nie vergessen, dass man im absoluten Blauwasser unterwegs ist. Das nächste Land ist sehr weit entfernt und Strömungen können sich sehr schnell aus dem Nichts aufbauen, man sollte also immer ein Auge auf dem Guide haben.

 

Insgesamt drei Tagesausflüge unternehmen wir zu den Mobulas nach Ambrosia, an jedem Tauchgang sehen wir Mobulas und Schwärme von Bonitos und am dritten Tag haben wir das Glück, dass wir an beiden Tauchgängen von einem Mobula die ganze Zeit begleitet werden, der so nahe kommt, das mir ganz anders wird. Es sind solch faszinierenden und beeindruckenden Tiere, die eher fliegen als schwimmen und genauso neugierig sind wie wir.

 

Ein weiteres Taucher-Highlight für uns sind die sogenannten Baitballs, die dichtgedrängten Herings- oder Sardinenschwärme, die von Barrakudas und Thunfischen an die Oberfläche getrieben werden. Wir können vom Zodiak aus diese Baitballs anhand der Möwenschwärme finden, und wenn wir Glück haben und rechtzeitig dort sind, schlüpfen wir schnell in Flossen, Maske und Schnorchel und stürzen uns ins Getümmel. Wichtig ist nur, dass wir es schaffen müssen, vor den Fischerbooten am Baitball zu sein, denn auch die halten Ausschau nach den Möwenschwärmen. Apropro Fischerei: Auf den Azoren scheint es zwischen den Fischern und den Tauchern im Gegensatz zu vielen anderen Ländern eine gute Kommunikation zu geben. Auch ist die Fischerei auf den Azoren sehr nachhaltig, es wird ausschließlich mit Ruten geangelt. Die Fischer, mit denen wir uns unterhalten konnten, sind sich des Meeresschutzes sehr bewusst.

 

Abends suchen wir uns ein gemütliches Restaurant oder eine schöne Bar und genießen den Santa Maria Flair. Eine Bar ganz nach unserem Geschmack wird die Blues Bar in Anjos im Norden der Insel. Hier kann man herrlich sitzen, Snacks essen und auf das Meer schauen und den Tag ausklingen lassen. Mit Jörg hingegen zieht es uns in den Süden nach Praia Formosa, wo man am herrlichen Sandstrand auch noch baden kann.

 

Witzigerweise ist es so, dass man die paar Touristen, die im September noch auf der Insel sind, beim Tauchen kennen lernt und überall wieder trifft. Entweder auf dem Inselberg „Pico Alto“, von dem aus man die beste Übersicht über die gesamte Insel hat, oder in einer der vielen Bars oder Restaurants. Häufig gehen wir zu zweit zum Essen, treffen jemanden, erweitern die Runde und es ergeben sich schöne Gespräche. Auch die Abende mit Jörg und seinen Bekanntschaften verlaufen ähnlich. Wir genießen jeden Abend.

 

An meinem letztem Tauchtag geht es nach den Formigas, ein Archipel entstanden aus einem erloschenen Vulkan. Ein Tauchspot, der sehr weit abgelegen ist, fast zwei Stunden Fahrzeit mit dem Zodiak, nur bei sehr gutem Wetter geplant werden kann und aufgrund der Wettervorhersage schon mehrmals verschoben worden ist. Wenn das Wetter die Formigas zulässt, dann wird die gesamte Planung der Tauchbasis darauf abgestimmt. Alle Zodiaks der Basis gehen an diesem einen Tag dann auf die Formigas.

 

Segler kennen die Formigas vielleicht aus einem anderen Kontext heraus, denn dort liegen leider sehr viele Wracks. Atlantikrunden-Rückkehrer, die es bis zu den Azoren geschafft haben, müssen hier wach sein. Denn sie verlassen Sao Miguel oder Santa Maria und haben das kleine Archipel „Formigas“ nicht auf dem Schirm und laufen keine 30 Seemeilen hinter der letzten Azoreninsel unerwartet auf Grund.

 

Die Formigas werden neben den Besuchen bei den Mobulas mein absolutes Highlight. Die Anfahrt ist hart, denn zwei Stunden bei voller Fahrt seitlich auf dem Zodiak sitzend ist anstrengend.

 

Kurz vor den Formigas, der kleine Leuchtturm ist bereits zu sehen, sichten wir Delfine und ändern unseren Kurs auf die Tiere. Kurz darauf springen die ersten Delfine bereits vor unserem Bug und begleiten uns. Es scheint eine kleine Schule zu sein, die meisten sind gerade noch mit fressen und jagen beschäftigt. Wir stimmen uns kurz mit dem Bootsführer ab, ziehen uns Masken, Schnorchel und Flossen an und springen ins Wasser. Es ist ein mulmiges Gefühl, so weit weg von der Insel ins Wasser zu gehen, noch dazu, wenn gerade jagende Delfine um einen herum sind. Ich ignoriere mein mulmiges Gefühl und hoffe, dass die Delfine mir gegenüber nur neugierig sein werden und nicht feindselig. Ich schwimme ein paar Züge und schaue dabei nach unten und sehe, wie ein paar Delfine und ein riesiger Gelbflossenthun zusammen unter mir durchziehen. Ein Delfin kommt sehr nah zu mir hoch, wir checken uns gegenseitig, dann zieht er weiter. Ist das aufregend. Es ist wahnsinnig laut unter Wasser, die Delfine quatschen ununterbrochen miteinander, es sind richtige Quasselstrippen. Ich suche die anderen und stelle fast, dass ich in eine ganz andere Richtung geschnorchelt bin. Jetzt gerate ich in Stress, weil ich mich allein im riesigen Meer fühle. Schnell zurück zu meiner eigener Herde. Freddy hat gefilmt, sie hatten auch Delfine, allerdings nicht so nahe wie ich, dafür deutlich mehr Tiere als bei mir.

 

Wir klettern wieder an Bord des Zodiaks und fahren weiter zu unserem Tauchspot. Ich bekomme Kopfschmerzen und habe ein heißes linkes Ohr. Es hat sich seit einigen Tagen angedeutet und hätten nicht die Formigas angestanden, hätte ich den Tag wohl auch geknickt, denn ich bekomme anscheinend eine Ohrenentzündung, wahrscheinlich durch den Fahrtwind auf den Zodiaks mit den nassen Haaren. Ich werde diesen Tag noch die Zähne zusammenbeißen und dann war es das wohl mit dem Tauchen bei mir. Druckausgleich scheint noch zu gehen, das ist das wichtigste.

 

Gleich beim Beginn des ersten Tauchgangs mache ich eine Bekanntschaft mit einem beeindruckenden Zackenbarsch. Wir begegnen uns mit gegenseitigem Respekt und wissen beide nicht ganz, ob der andere Freund oder Feind ist, finden uns gegenseitig spannend, aber auch angsteinflößend, wollen uns von Nahem anschauen, finden uns aber auch irgendwie suspekt … den „Staring Contest“ hat der Zacki gewonnen, ist aber auch nicht ganz fair, finde ich, ein Zackenbarsch hat hier eindeutig Vorteile.

 

Die Tauchgänge sind toll. Es rockt ordentlich mit der Strömung, aber die Tiere sind sehr zutraulich, vor allem die Zackenbarsche. Die müssen hier mal angefüttert worden sein, so wie die herankommen. Einer hält meine Drehgriffe an den Tauchflaschen anscheinend für Futter, ich muss ihn wirklich wegschieben, weil er mir zu nahe kommt.

 

An dem Abend fange ich das fiebern an, das Ohr ist heiß und geschwollen. In der Nacht kann ich kaum noch schlafen. Wenn wir schon auf den Azoren sind, nehmen wir das volle Programm mit. Also ab zur Klinik. Die Doktorin ist nicht ganz so begeistert, als ich gestehe, dass ich am Vortag noch getaucht bin. Sie verschreibt mir Ohrentropfen und Ibus. Auf die Ibus hätte ich auch vorher schon kommen können. Für mich ist das Tauchen hiermit vorbei. Freddy fährt allein zur Tauchbasis.

 

Ich gehe meine Bucket List durch. Der Walhai hat es tatsächlich geschafft, sich vor mir zu drücken. Ich muss nächstes Jahr wieder kommen. Ansonsten haben die Azoren tauchtechnisch meine Erwartungen bei Weitem übertroffen. Ich habe 12 Tauchgänge gemacht und kann gar nicht sagen, was wirklich mein absolutes Highlight gewesen ist. Auch über Wasser hat mich die Schönheit der Insel Santa Maria sehr eingenommen. Ich weiß, das Santa Maria von allen Inseln noch die kargste Azoreninsel sein soll, sie bekommt am meisten Sonne und am wenigsten Regen ab. Aber selbst diese kleine Insel hat mich in ihrer Vielfalt der Klimazonen und Landschaften, Blumen und Pflanzen schon sehr beeindruckt. Anderen wird diese Insel vielleicht zu ruhig und zu abgelegen sein, aber für mich und Freddy war sie genau das, was wir brauchten und wir werden 2023 definitiv zurückkehren.

 

In Erinnerung an Jörg Huckenbeck

Dass wir uns so sehr in die Insel Santa Maria verliebten, hat auch damit zu tun, dass wir diese völlig unerwartete Begegnung mit Jörg Huckenbeck hatten. Jörg, der uns nicht kannte, uns herzlichst bei sich an Bord begrüßte und uns sofort in seinen Freundeskreis aufnahm, mit dem wir sofort einen Draht hatten, Zukunftspläne schmiedeten, in Reiseplänen schwelgten, unbekannte Inseln auf Google maps suchten, Energiekonzepte diskutierten … jeden Morgen, wenn wir mit dem Zodiak ausfuhren, winkten wir herüber zur Moby Dick, wo er gerade seinen Kaffee trank. Ab und zu sahen wir die Moby Dick vor dem Hafen bei Testmanövern oder im Hafen bei Anlegemanövern. Nach dem Tauchen gingen wir häufig noch auf einen Kaffee bei ihm vorbei, halfen ihm beim schleifen, lackieren, Kabel durch die Saling ziehen, Sikaflex wegknibbeln, …

 

Gemeinsam gesegelt sind wir leider nur einen einzigen Vormittag, um ein „Rundsegel“ zu testen (den Erfahrungsbericht erspare ich euch, wir haben Blut und Wasser geschwitzt, das Konzept ist noch nicht zu Ende durchdacht :-) Unseren letzten Tag verbrachten wir gemeinsam am Strand „Praia Formosa“ und genossen ein letztes Bad in den Wellen vom Atlantik.

 

Kurz nach unserer Rückkehr nach Deutschland lackierte er die Moby Dick und benannte sie in die „Friesenstein“ um, bevor er wieder in seine Wahlheimat Schweden zurückkehrte.

 

Wir chatteten noch einige Male und versuchten, ein Treffen in Deutschland auf die Beine zu stellen. Das letzte Mal sahen wir ihn zur Mitgliederversammlung am 28. Januar, als er sich virtuell aus Santa Maria per Zoom einloggte. Nur wenige Tage später, am 2. Februar erreichten uns unfassbare Nachrichten: Jörg hatte während der Arbeiten an seinem Boot einen Herzanfall erlitten, an dessen Folgen er verstorben war.

 

Die Nachricht schockierte Freddy und mich zutiefst: Jörg hatte noch so viele Pläne und Träume. Ich hatte mir kurz zuvor noch seine Webseite mit seine Reiseplanung angeschaut und mich gedanklich wieder zurück in unsere Gespräche treiben lassen. Wie grausam das Schicksal manchmal ist. So viele Träume und Ziele, einfach dahin. Ich kann und will es immer noch nicht glauben, dass dieser herzensgute Mensch nicht mehr unter uns weilt.

 

Leute, wenn ihr Träume und Pläne habt: wartet damit nicht! Geht sie an und verwirklicht sie.

 

Ruhe in Frieden, Jörg.